Willkommen zur 22. Ausgabe des Fernostwärts Newsletters! Nach dem Lesen des Newsletters solltet ihr über die wichtigsten Ereignisse der letzten zwei Wochen in Bezug auf China, Hongkong und Taiwan Bescheid wissen und für interessierte Leute mit Zeit gibt es Links zur weiteren Lektüre. Falls ihr diesen Newsletter lesenswert findet, leitet ihn gern an Freund*innen weiter! Feedback oder Fragen gerne per Mail oder auf Twitter. Falls ihr den Newsletter noch nicht regelmäßig bekommt:
Rückblick. Das Hongkonger Sicherheitsgesetz ist da. Es ist eine Machtdemonstration der KP China in der bisher relativ freien Stadt und wird die Polizei und Regierung berechtigen, härter und gezielt gegen die politische Opposition vorzugehen. Mehr Details, auch zu den Reaktionen, im Hongkong-Teil, der das Herzstück der heutigen Ausgabe bildet. Das Gesetz ist ein Einschnitt, der die Beziehung Hongkongs zu China komplett neu definiert. China hat weiter Stress mit Indien, das jetzt 59 chinesische Apps blocken möchte. Taiwan sieht gerade ein bisschen wie ein demokratisches, COVID-19-freies Paradies aus, aber hat natürlich auch weiter seine eigenen Probleme – wie etwa KMT-Politiker*innen, die versuchen, das Parlament zu besetzen.
—Katharin & Nils
🇭🇰
Festnahmen seit Juni 2019: 9.108 (Stand: 28.06., 66 seit dem letzten Newsletter)
Davon angeklagt: 1.602 (Stand: 28.06., 4 seit dem letzten Newsletter)
Proteste seit März 2019: mindestens 1.086 (Stand: 28.06., 6 seit dem letzten Newsletter)
Bei diesen Zahlen fehlen mindestens 300 Festnahmen während der Proteste am 1. Juli.
Das Sicherheitsgesetz ist da. Nach mehreren Wochen der Unsicherheit ging es am 30. Juni dann ganz schnell: Auf einmal war das Sicherheitsgesetz aus Peking da. Es wurde vom Volkskongress verabschiedet und von Xi Jinping unterzeichnet – alles, ohne dass es irgendjemand in Hongkong gesehen hatte. „Vor Ende des Tages“ sollte es in Kraft treten, eine genaue Uhrzeit gab es nicht und selbst die Hongkonger Regierung hatte das Sicherheitsgesetz immer noch nicht gesehen. Dann, um elf Uhr abends Hongkonger Zeit, war es plötzlich so weit: das Gesetz wurde endlich veröffentlicht und galt, ähm, ab sofort. Jurist*innen und Journalist*innen arbeiteten sich direkt durch die 66 Artikel, die in einer weiteren kleinen Machtdemonstration der KP offiziell nur auf Chinesisch veröffentlicht wurden – obwohl Englisch in Hongkong auch Amtssprache ist. Das chinesische Original gibt es in Langzeichen (bei Xinhua in Kurzzeichen) und eine offizielle englische Übersetzung folgte. Als Teil der Machtdemonstration der KP gilt rechtlich im Zweifel die chinesische Version.
Also, was steht drin? Wie üblich empfehle ich für eine detaillierte rechtliche Analyse des Gesetzes NPC Observer. Kurz gesagt ist es für die Demokratiebewegung ein herber Schlag, denn es geht über das hinaus, was viele Beobachter*innen erwartet haben und greift die bestehende politische Freiheit in Hongkong auf ungeahnte Weise an. Es gibt viele beunruhigende Aspekte – ein Auszug:
Straftaten. Wie erwartet sind die vier großen Straftaten im Gesetz Separatismus, Subversion, Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften und Terrorismus. Sie sind allerdings sehr großzügig definiert – schon Aussagen oder Unterstützung für Leute, die eine dieser Straftaten begehen, sind wiederum als Separatismus oder Subversion definiert. Auch Sachbeschädigung von öffentlichem Eigentum, die ich intuitiv eher als Vandalismus eingestuft hätte, fällt hier unter Terrorismus. Insgesamt sind die Definitionen der Strafbestände sehr vage und lassen viel Interpretationsspielraum.
Haftstrafen. In „besonders schweren“ Fällen (die nicht näher definiert sind) können für die obigen Straftaten lebenslängliche Haftstrafen verhängt werden.
Die Rolle Chinas. Grundsätzlich soll das Gesetz durch Hongkonger Gerichte durchgesetzt werden, obwohl diese es explizit nicht interpretieren dürfen – diese Befugnis steht nur der Volkskongress in Peking zu. Bemerkenswert ist auch, dass China in einigen, nicht besonders klar definierten Situation, die Fälle selbst verhandeln darf und Angeklagte dabei sogar nach China ausliefern lassen kann. Beunruhigend ist auch, dass die chinesische Regierung nun wie erwartet durch eine neue Sicherheitsbehörde direkt in Hongkong operieren kann.
Befugnisse. In Fällen, die mit der Nationalen Sicherheit zu tun haben, hat die Polizei nun deutlich erweiterte Befugnisse zur elektronischen Überwachung und Durchsuchung von Verdächtigen.
Reichweite. Das Gesetz gilt nicht nur für Hongkonger*innen oder nur auf Hongkonger Boden, sondern offiziell für alle Menschen und auch für Taten, die außerhalb von Hongkong oder der VR China begangen werden. Es könnten bei Einreise nach Hongkong also auch Ausländern*innen für im Ausland begangene Handlungen verfolgt werden.
Intransparenz. Bis kurz vor der Inkrafttretung um 23 Uhr Hongkonger Zeit am 30. Juni 2020 hatte selbst die Hongkonger Regierung das Gesetz nicht gesehen; niemand in der Stadt wusste, was darin steht. China ist keine Demokratie, aber selbst dort werden Gesetzestexte normalerweise als Teil des regulären Gesetzgebungsprozesses veröffentlicht und die Öffentlichkeit und betroffene Entitäten (auch ausländische Firmen) können ihr Feedback abgeben. Das Sicherheitsgesetz ist erst das zweite oder dritte chinesische Gesetz der letzten zwanzig Jahre, das vor seiner Veröffentlichung nicht einmal in Teilen öffentlich war.
Was bedeutet das praktisch? Wie bereits erwähnt sind die Straftaten im Gesetz sehr vage definiert. Nur sechs Tage nach Einführung des Gesetzes deutet sich bereits an, dass die Regierung und die Hongkonger Polizei diesen Interpretationsspielraum nutzen werden.
Subversion. Beim Protest am 1. Juli, der trotz Verbot stattfand (s. unten), wurden mehrere Leute wegen Subversion und Separatismus festgenommen. Grund waren augenscheinlich eine Unabhängigkeitsflagge und Sticker mit Protest- und Unabhängigkeitsslogans, die die Polizei in den Taschen mehrerer Demonstrantinnen fand. Die Polizei nutzte eine neue, lilane Flagge, mit der sie Demonstrierende warnte: „Sie zeigen Flaggen oder Banner oder rufen Slogans oder verhalten sich mit einer Intention des Separatismus oder Subversion, was eine Straftat konstituieren könnte.“
Illegaler Slogan. Die Hongkonger Regierung verkündete offiziell, dass der Protestslogan „Liberate Hong Kong, Revolution of our Times“ (光復香港,時代革命) subversiv und damit nun illegal ist. Der Slogan wurde ursprünglich vom Unabhängigkeitsaktivisten Edward Leung geprägt, aber wird weithin nicht als expliziter Aufruf zur Unabhängigkeit verstanden. Rechtlich ergibt die Aussage der Regierung soweit ich das verstehe keinen Sinn, da theoretisch nur der Volkskongress in Peking das Gesetz interpretieren und somit Aussagen verbieten könnte.
Illegale Poster. Mehrere pro-demokratische Cafés, deren Wände bisher voller Poster und farbenfroher „Lennon Walls“ waren, haben alle Zeichen der Unterstützung der Proteste entfernt. Hongkonger Medien berichten, dass die Polizei mindestens einem Laden mitgeteilt habe, solche Poster seien illegal.
Terrorismus. Die erste Festnahme wegen Terrorismus gab es am Wochenende, als ein junger Mann mit einer „Liberate Hong Kong, Revolution of our Times“-Flagge auf seinem Motorrad durch die Stadt und in eine Gruppe Polizist*innen fuhr – diese Polizeigruppe lief Videoaufnahmen zufolge anscheinend aber plötzlich auf die Straße. Statt wegen Fahrlässigkeit oder Körperverletzung wird er nun wegen Terrorismus angeklagt.
Satire stirbt weiter. Der öffentlich-rechtliche Fernsehsender RTHK hat mehrere kontroverse Folgen der abgesetzte Satiresendung „Headliner“ bei YouTube gelöscht und leicht gekürzt wieder hochgeladen – mit insgesamt 12 politisch problematischen Minuten, die rausgeschnitten wurden.
Illegale Bücher. Hongkonger Büchereien müssen Bücher aus ihrem Sortiment nehmen, die gegen das Sicherheitsgesetz verstoßen.
Illegale Aktivist*innen. Joshua Wong und seine Mitstreiter*innen Agnes Chow und Nathan Law sind schon vor Inkrafttreten des Gesetzes aus ihrer Partei Demosisto ausgetreten, die sich daraufhin auflöste. Entgegen der Wahrnehmung mancher (darunter Außenminister Heiko Maas) sind Wong, Chow und Law keine Separatist*innen – aber wollten vermutlich ihre Partei und andere Mitglieder vor Vorwürfen des Separatismus und der Zusammenarbeit mit dem Ausland schützen. Chow und Wong können Hongkong wegen laufender Verfahren gegen sie nicht verlassen, Law hat Hongkong verlassen und befindet sich damit faktisch im ausländischen Exil, wo er weiter um internationale Unterstützung werben möchte. Wong, Chow und Law haben vermutlich Anklagen wegen Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften und eventuell wegen Subversion und Separatismus zu befürchten.
Noch illegalere Aktivist*innen. Die wirklichen Hongkonger Unabhängigkeitsaktivist*innen, die in den letzten Jahren zahlenmäßig Zulauf gewonnen haben, lösten am Dienstag reihenweise ihre Organisationen auf und kündigten an, stattdessen nur noch in Taiwan und Großbritannien zu agieren.
Ihr seht an den Beispielen oben, dass es schon einen klaren „chilling effect“ für politisch aktive Menschen gibt, die jetzt ihre Worte und Taten einschränken, um Strafverfolgung zu vermeiden. Gerade gibt es aber auch langsam eine Gegenbewegung, die Leute vor vorauseilendem Gehorsam warnt. Viele Anwält*innen versuchen noch, genau herauszufinden, was das Gesetz letztlich für die Stadt bedeuten wird. Die Antwort ist vielleicht teils im Text zu finden, aber sie wird auch maßgeblich davon abhängen, wie weit die chinesische Regierung ihre neuen, großzügig definierten Befugnisse ausreizen wird.
Das Exil Nathan Laws ist, in vielerlei Hinsicht, besonders frustrierend: Er und Demosisto waren Teil eines Versuchs der jüngeren Demokratiebewegung, innerhalb des politischen Systems zu arbeiten. Sie hatten sich, soweit ich das auf dem Schirm habe, nie explizit für Unabhängigkeit eingesetzt, aber durchaus ein Referendum gefordert, in dem Hongkonger*innen selbst über ihre Zukunft entscheiden sollten. 2016 wurde Law mit 23 als jüngster Abgeordneter ins Hongkonger Parlament gewählt, aber direkt disqualifizert, weil er seinen Amtseid nicht korrekt abgelegt hatte.
Protest am 1. Juli. Zum Jahrestag der Übergabe Hongkongs von der Kolonialmacht Großbritannien an die VR China am 1. Juli 1997 gibt es traditionell einen großen Protest für Demokratie. Dieses Jahr wurde jedoch keine Genehmigung erteilt, offiziell wegen Corona und der Gefahr von Gewalt. Der Protest fand trotzdem statt und wie immer wurden reihenweise Menschen festgenommen. Ein großes Banner berührte besonders viele Leute und ging sofort viral: Auf schwarzem Grund steht auf Kantonesisch: „Wir haben Hongkong einfach verdammt gerne.“ Vielleicht hat es viele so berührt, weil dieser Spruch ein so einfaches, grundlegendes Gefühl ausdrückt: Viele Demonstrierende lieben ihre Heimat und haben Angst davor, sie zu verlieren.
Stilisierte Sicht auf den Protest am 1. Juli: Menschen mit Regenschirmen auf der Straße und Straßenbahnschienen, mit dem Banner „Wir haben Hongkong einfach verdammt gerne.“
Reaktionen: Selbstzensur & Migration. Dass in Hongkong auf einmal bestimmte politische Aussagen als illegal gelten, wäre vor einem Jahr noch undenkbar gewesen. Doch als Reaktion werden die acht Zeichen des Slogans „Liberate Hong Kong, Revolution of our Times“ (光復香港,時代革命) nun auf zahlreiche kreative Arten in der Protestkunst der Stadt verformt wiedergegeben. Auf Twitter und Facebook löschten oder anonymisierten reihenweise Hongkonger*innen schon vor dem Gesetz ihre Accounts. Ein anderes neues Symbol des Protests sind weiße Blätter und Protestschilder – da niemand mehr weiß, was noch straffrei gesagt werden darf, halten Menschen jetzt einfach weiße Schilder hoch. Während manche Leute ihre Accounts gelöscht oder provokative Kunst entfernt haben, sind andere trotzig: Bei The Nation schreibt auch Rachel Cheung über Comiczeichner*innen, die sich nicht unterkriegen lassen wollen. Nach dem ersten Schock merkt man gerade langsam, dass der Trotz und der Wille zum Protest noch da sind.
Reaktionen: Auswandern als Ausweg? Gleichzeitig kocht auch die Diskussion um Migration wieder hoch. Während manche Leute sagen, dass sie auf jeden Fall bleiben und ihre Heimat nicht verlassen wollen, erwägen andere, auszuwandern. Großbritannien möchte Hongkonger*innen mit einem sogenannten „British Nationals Overseas“-Pass (über 18, geboren vor 1997) die Einbürgerung erleichtern. Auch Australien sehnt sich nach hochqualifizerten Hongkonger*innen. Was aus Hongkonger*innen ohne Geld oder Englischkenntnisse werden soll, ist unklar.
Neue Vertreter Chinas. Als seien die anderen Nachrichten nicht genug, hat China schon einen Vertreter für die neue Sicherheitsbehörde ernannt, die das Gesetz in Hongkong durchsetzen wird. Zheng Yanxiong ist ein politischer Hardliner, der 2011 Proteste in Wukan in Südchina niederschlagen ließ und für folgenden Satz bekannt ist: „Wenn ausländische Medien vertrauenswürdig sind, könnten Kühe auf Bäume steigen.“
🇨🇳
Indien zensiert 59 chinesische Apps. Der Grenzkonflikt schwelt weiter vor sich hin und als Reaktion hat Indien angekündigt, 59 chinesische Apps zu sperren, inklusive TikTok. Die chinesische Regierung ist nicht glücklich und hat ironischerweise eine Beschwere bei der Welthandelsorganisation angekündigt – angesichts der vielen ausländischen Webseiten und Apps, die in China gesperrt sind, könnte das interessant werden. Dass die chinesische Regierung sich jetzt so über die Sperrung von TikTok aufregt, hilft natürlich auch TikToks Argumenten nicht, dass sie total unabhängig von der chinesischen Regierung seien.
Sieg für Transrechte vor Gericht. In guten Nachrichten aus China hat eine trans Frau vor Gericht eine Klage wegen Diskriminierung gewonnen. Sie hatte ihren Job verloren, während sie sich von ihrer Operation erholte – laut Urteil erhält sie ihren Job zurück und darf die Frauentoilette benutzen. Das Urteil ist auch in seiner progressiven Sprache ziemlich überraschend: Der Richter verweist u.a. darauf, dass die Vorstellung, Gender und Sex seien das Gleiche schlicht nicht mehr zeitgemäß sei.
Feministische Aktivistin vor Gericht. Allerdings nicht als Angeklagte, sondern als Klägerin: Sie möchte erwirken, dass auch unverheiratete Frauen ihre Eier einfrieren können. Bisher ist das in China nur verheirateten Frauen erlaubt, während Männer in jeglichem Beziehungsstatus ihr Sperma einfrieren dürfen. Wie auch die Klage der trans Frau oben zeigt, bieten chinesische Gerichte Aktivist*innen in China immer wieder eine Möglichkeit, ihre Forderungen durchzusetzen, ohne „zu politisch“ zu werden. Ich hatte 2018 über einen Fall geschrieben, bei dem eine lesbische Aktivistin gegen Homophobie in Medizinlehrbüchern klagte: Sie berief sich dabei auf ein Gesetz, dass zu viele „faktisch inkorrekte“ Aussagen in Büchern verbietet. Durch die Berufung auf bestehende Gesetze versuchen Aktivist*innen innerhalb des Systems zu arbeiten, ohne die Regierung direkt infrage zu stellen.
Neue Berichte aus Xinjiang. Ein neuer Bericht beschreibt eine Hacking-Kampagne gegen Uigur*innen nicht nur in China, sondern auch im Ausland. (Man beachte auch die Ortsmarke „Taipei“ bei diesem New York Times-Bericht, denn dort befinden sich die meisten NYT-Korrespondent*innen, seit sie massenhaft aus China ausgewiesen wurden). Die AP berichtet außerdem, dass die chinesische Regierung in Xinjiang mit erzwungener Verhütung bei Uigur*innen künstlich die Geburtenraten in der Provinz niedrig halten würde. Die US-Regierung plant anscheinend, Sanktionen für chinesische Politiker*innen zu verhängen, die direkt an der Repression von Uigur*innen in Xinjiang beteiligt sind. Mal schauen, ob wirklich etwas dabei rumkommt – zumindest die US-Reaktion auf das Sicherheitsgesetz in Hongkong war bisher eher schwach und wird nur begrenzte Auswirkungen haben.
Die schwindende Freiheit in China. Zwei aktuelle Texte beleuchten die schwindende Freiheit für chinesische Intellektuelle in Xi Jinpings China. Sicher, China ist keine Demokratie, aber auch in einem autokratischen System gibt es Grauzonen und Freibereiche – doch die schwinden in den letzten Jahren zunehmend. Bei ChinaFile beschreibt Li Fan, der sich seit Jahren für schrittweise demokratische Reformen in China einsetzt, dass die chinesische Regierung vor zehn Jahren zunehmend Angst vor der Zivilgesellschaft bekam und die Demokratie sich seitdem auf dem Rückzug befindet. Aber er sieht auch Grund zur Hoffnung: kleine Kirchen wachsen weiter, Arbeiter*innen fordern ihre Rechte ein, Umwelt-NGOs kämpfen weiter für ihre Ziele. Eine pessimistischere Perspektive gibt es in der LA Times: Korrespondentin Alice Su hat mit Professorinnen gesprochen, die immer mehr politischem Druck ausgesetzt sind und teils während ihrer Vorlesungen aufgenommen wurden. Eine Professorin, Sun Peidong, hat nun ihren Job an der prestigeträchtigen Fudan Universität in Shanghai aufgegeben und China verlassen – nachdem sie sich Attacken von ihren Studierenden ausgesetzt sah und Druck erhielt, nicht mehr offen über die „Kulturrevolution“ zu sprechen, zu der sie forscht und lehrt.
Serienempfehlung: „Because China.“ Quartz hat als Teil der Entlassungen in der Journalismusindustrie mit Isabelle Niu und Tony Lin auch zwei der besten China-Videojournalist*innen entlassen. Dafür ist ihre Serie „Because China“ jetzt allerdings auch ohne Abo auf YouTube zu sehen. In der ersten Folge (s. unten) geht es um die chinesische Cannabis-Industrie.
🇹🇼
Reaktionen zu Hongkong. Die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen verurteilte das Sicherheitsgesetz in Hongkong mit ziemlich klaren Worten. Jetzt ist die Frage, ob dieser Rhetorik ernsthafte und konkrete Hilfen für Hongkonger Aktivist*innen folgen werden, die teils schon länger und oft ohne Arbeitserlaubnis und offizielle, langfristige Aufenthaltsgenehmigung in Taiwan leben, oder vielleicht in naher Zukunft dorthin auswandern möchten.
Gescheiterte Parlamentsbesetzung. Die Oppositionspartei KMT hat in Taiwan versucht, mit einer Besetzung des Parlaments Druck auf die Regierung auszuüben und die Nominierung einer ehemaligen Demokratie-Aktivistin zu torpedieren. Die Besetzung ist gescheitert, aber es ist interessant, zu beobachten, wie hier wirklich ziemlich grundlose Anschuldigungen gegen die moderate Regierung unter Tsai Ing-wen vorgebracht werden. Während der Wahlen im Januar wurde offensichtlich, wie polarisiert auch Taiwans Demokratie ist. Manche Unterstützer*innen der Oppositionspartei KMT glauben gar, dass es in Taiwan keine Pressefreiheit mehr gibt. Die gescheiterte Besetzung ist vielleicht ein gutes Zeichen dafür, dass diese Polarisierung doch noch nicht so weit fortgeschritten ist, wenn die Partei eben keine massenhafte Unterstützung aus der Bevölkerung für eine solche Aktion bekommen kann.
Botschaft in Somaliland. Taiwan verliert seit Jahren stetig seine diplomatischen Verbündeten, die Chinas Zuckerbrot und Peitsche folgen und nach und nach die Volksrepulik China statt der Republik China auf Taiwan als „offizielles China“ anerkennen. Nun hat die taiwanesische Regierung angefangen, „gute Beziehungen“ mit Somaliland zu etablieren, das 1991 einseitig seine Unabhängigkeit von Somalia erklärt hatte, aber weltweit nicht als unabhängiger Staat anerkannt wird. Offiziell gehört Somaliland zu Somalia, ist aber faktisch selbstregiert. Das Abkommen bedeutet allerdings nicht, dass die beiden Länder einander offiziell anerkennen. Wer von Taiwans internationalem Status verwirrt ist, kann z.B. Fernostwärts-Folge 55 hören, in der Journalist Klaus Bardenhagen diese komplizierte Situation, inklusive ihres geschichtlichen Hintergrunds, sehr verständlich darstellt.
Danke!
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