Willkommen zur 28. Ausgabe des Fernostwärts Newsletters! Nach dem Lesen des Newsletters solltet ihr über die wichtigsten Ereignisse der letzten zwei Wochen in Bezug auf China, Hongkong und Taiwan Bescheid wissen und für interessierte Leute mit Zeit gibt es Links zur weiteren Lektüre. Falls ihr diesen Newsletter lesenswert findet, leitet ihn gern an Freund*innen weiter! Feedback oder Fragen gerne per Mail oder auf Twitter. Falls ihr den Newsletter noch nicht regelmäßig bekommt:
Rückblick. So, das war eine etwas längere Pause über den Covid-Winter hinaus. Falls ihr nachlesen wollt, was Katharin vor ein paar Monaten in Taiwan mitbekommen hat, könnt ihr euch ihre Berichterstattung bei der ZEIT anschauen oder ohne Paywall im Republik-Magazin lesen, wie Taiwan aus seinen Fehlern bei der SARS-Epidemie 2003 gelernt hat. Sechs Monate lassen sich schlecht in einem Newsletter zusammenfassen, daher geht es in diesem Newsletter eher um die letzten zwei, drei Monate – wobei die Entwicklungen in Hongkong auch in dieser Zeitspanne schwierig zu fassen sind. In Taiwan gab es die erste Coronawelle, die inzwischen besiegt zu sein scheint. In China steht die organisierte Zivilgesellschaft unter Druck, gleichzeitig scheint die MeToo-Bewegung aber endlich ein paar Erfolge zu verzeichnen. Der Crackdown gegen diverse Teile der Techindustrie hat in diese Ausgabe leider nicht mehr reingepasst, die hoffentlich nicht lange auf sich warten lässt. Wir müssen aber schauen, wie wir den Newsletter auf absehbare Zeit wieder regelmäßig veröffentlichen können, ohne dass unsere Leben und Tagesjobs dazwischen grätschen. Vielleicht versuchen wir es mal mit etwas längeren Abständen wie drei oder vier Wochen. Anregungen sind natürlich immer willkommen!
—Katharin & Nils
🇨🇳
Flut in Zhengzhou. Ihr habt sicher mitbekommen, dass es auch in China im Juli eine schlimme Flut in der Provinz Henan gab, insbesondere in der Stadt Zhengzhou. Die Parallelität mit den Fluten in Europa war krass und macht offensichtlich, wie die Folgen des Klimawandels Menschen in aller Welt betreffen. Besonders tragisch in Zhengzhou war die Überflutung der U-Bahn, in der mehrere Menschen umkamen. Als Zeichen öffentlicher Trauer legten viele Menschen Blumen an U-Bahn-Eingängen ab, die teils als Reaktion von der Regierung abgesperrt wurden (s. Foto). Ein schönes Symbolbild für die Politisierung öffentlicher Trauer in China. Auf Weibo gingen später Videos von Anwohnern rum, die die Absperrungen wieder entfernt haben, um Raum für öffentliche Trauer zu machen.
Eine interessante Parallele zu Deutschland: Während in Deutschland T-Online berichtete, dass althergebrachte Systeme wie Warnsirenen nicht benutzt wurden, haben in Zhengzhou wohl zwei moderne Smart City-Systeme (eines für Hochwasserkontrolle und eines für Tunnelsicherheit) versagt – entweder haben die Systeme keine Warnungen rausgegeben oder die Lokalregierung hat die Warnungen ignoriert.
Delta-Ausbruch. In China ging das Leben eigentlich wieder relativ uneingeschränkt seinen Gang, inklusive offener Clubs und Festivals. Es gab immer mal wieder kleine Ausbrüche, u.a. kürzlich in Südchina, die nach ursprünglicher Skepsis auch viele Leute motiviert haben, sich impfen zu lassen. Welcher Teil der Bevölkerung vollgeimpft ist, ist nicht ganz klar, aber China hat genug Dosen für die volle Impfung von etwa 57% der Bevölkerung verimpft. Aber jetzt scheint es einen ersten Delta-Ausbruch zu geben, der vom Flughafen in Nanjing ausging und u.a. zu mehreren Infektionen im Nationalpark Zhangjiajie, einem beliebten Reiseziel, geführt hat. Ein großer Cluster in Südchina wurde von älteren Chines*innen in Mahjong-Stuben angetrieben. Als Reaktion gab es zwischenzeitlich nicht nur die Quarantänepflicht für Ankünfte aus dem Ausland, die nie ausgesetzt wurde, sondern auch für inländische Reisen, etwa für Menschen, die aus Nanjing nach Peking kommen. China verfolgt nach wie vor eine kompromisslose Zero-Covid-Strategie mit hartem Durchgreifen im Falle eines Ausbruchs. Ein Bekannter in Peking meinte neulich, dass es gerade etwas unangenehm sei, aber die meisten Leute vor Ort davon ausgingen, dass das Virus in zwei Wochen wieder unter Kontrolle sein wird – und drei Wochen nach dieser Aussage scheint der Ausbruch wirklich unter Kontrolle zu sein.
Xinjiang. Wir haben hier schon öfters die Situation in Xinjiang besprochen und die öffentliche Wahrnehmung dreht sich immer noch vor allem um die Lager, in denen viele Uigur*innen landen. Allerdings hat sich das System mittlerweile in seiner Natur durchaus verändert. Associated Press berichtet: Statt Lagern außerhalb des Justizsystems werden nun viele Uigur*innen in Institutionen innerhalb des Justizsystems festgehalten – aus einem „beruflichen Trainingslager“ ist nun ein Gebäude für Untersuchungshaft geworden, denn in Xinjiang können Menschen für Handlungen wie Beten vor dem Essen festgenommen werden. Die Xinjiang Victims Database (XVB), die Informationen zu verschwundenen Uigur*innen crowdsourct, hat auch schon vor einer Weile auf Twitter gewarnt, dass Uigur*innen zunehmend auf vermeintlich rechtlicher Basis festgehalten werden, die aber durch den Mangel an Transparenz schwer nachzuvollziehen ist. XVB sagt auch, dass viele der Leute in den Lagern ihren Informationen zufolge schon 2019 rausgelassen wurden und sich internationale Aufmerksamkeit jetzt auf Uigur*innen innerhalb des offiziellen Gefängnissystems konzentrieren sollte.
MeToo in China. Im neuesten MeToo-Skandal in China hat Du Meizhu den kanadisch-chinesischen Popstar Kris Wu (ehemaliges Mitglied der Band EXO, Juror bei der TV-Sendung Rap of China) u.a. beschuldigt, minderjährige Mädchen wiederholt sexuell belästigt und sie gezielt betrunken gemacht zu haben. Nachdem sie ihn öffentlich auf Weibo und in einem Interview beschuldigt hatte, haben sich Dus Aussagen zufolge auch anderen Frauen bei ihr gemeldete, die ähnliche Erfahrungen mit Wu gemacht haben. Wu bestreitet die Vorwürfe und möchte abwarten, zu welchem Schluss die Gerichte kommen, die historisch wenig Verständnis für die Betroffenen sexueller Belästigung – besonders bei prominenten Angeklagten – gezeigt haben. Die öffentliche Meinung hat sich relativ eindeutig gegen Wu gewendet, der in den letzten Wochen zahlreiche Sponsor*innen verloren hat und wegen der Vergewaltigungsvorwürfe in Polizeigewahrsam genommen wurde. Damit ist Wu bisher wohl der prominenteste Mann, den #metoo in China zumindest ansatzweise zur Verantwortung ziehen konnte. Wer sich für Wus Rolle in der chinesischen Popkultur interessiert, kann sich z.B. FOW041 mit Lauren Texeira anhören, in der wir über chinesischen Hip-Hop gesprochen haben.
Außerdem: Auch Alibaba, eines der größten und einflussreichsten Tech-Unternehmen Chinas, hatte in den letzten Wochen einen handfesten MeToo-Skandal: Erst wurde einem Manager sexuelle Belästigung vorgeworfen, woraufhin dieser gefeuert wurde. Ehemalige und aktuelle Mitarbeiter*innen werfen Alibaba nun aber auch vor, eine zutiefst sexistische Unternehmenskultur und u.a. regelmäßig demütigende, sexuelle Ice Breaker auf Parties genutzt zu haben.
Zivilgesellschaft unter Druck. Queere Organisationen kämpfen weiter ums Überleben in einem politischen Kontext, in dem sie immer weniger Raum haben. Mitte Juli löschte WeChat eine Reihe öffentlicher Accounts von LGBTQIA*-Organisationen an chinesischen Universitäten, die für viele queere Chines*innen der erste Ort sind, an dem sie ihre Identität wirklich ausleben und ausprobieren können. Besonders gefährlich ist im aktuellen politischen Kontext, dass Aktivist*innen für LGBTQIA*-Rechte zunehmend ins Visier nationalistischer Shitstorms geraten, die sie beschuldigen, mit ausländischen Kräften gegen China zu arbeiten.
Außerdem: Anfang August hat die feministische Publikation Jianjiao Buluo 尖椒部落 ihre Arbeit eingestellt, die vor allem mit marginalisierten Gruppen wir Sexarbeiterinnen, Fabrikarbeiterinnen oder trans Frauen mit niedrigem Einkommen gearbeitet hatte. Die Schließung passt zu den Trends, dass sowohl feministischer als auch Aktivismus für Arbeiter*innenrechte in China zunehmend schwierig wird. Für Leute mit Chinesischkenntnissen (oder keiner Angst vor Google Translate) hat Cornell die Webseite der Gruppe seit 2017 regelmäßig archiviert.
🇭🇰
Corona. Die Impfungen gehen in Hongkong eher schleppend voran, obwohl es mittlerweile wirklich genug Impfstoff gibt – das mangelnde Vertrauen in die Regierung, die spätestens seit der Einführung des Sicherheitsgesetzes systematisch die demokratischen Kräfte der Stadt bekämpft, sorgt dafür, dass die Impfungen weiterhin schleppend vorangehen: bisher hat Hongkong erst etwa 50% der Bevölkerung voll geimpft. Die Situation ist allerdings insgesamt unter Kontrolle und in den letzten drei Monaten gab es nur fünf lokal übertragene Fälle in der Stadt.
Sicherheitsgesetz und die Demokratiebewegung. In unserer letzten Ausgabe hatten wir u.a. über die über 50 Festnahmen von pro-demokratischen Politiker*innen berichtet, von denen mittlerweile 46 unter dem Sicherheitsgesetz angeklagt wurden. Der nicht-anonyme Teil der Demokratiebewegung ist dezimiert. Es ist schwer, zusammenzufassen, wie sich die Stadt in den letzten sechs Monaten verändert hat. Jeden Tag gibt es neue Festnahmen oder Ermittlungen oder Gesetze und über die Monate häufen sich diese kleinen Veränderungen an, sodass sich aus ihnen eine qualitative Veränderung der Gesamtsituation der Stadt ergibt. Eine Stadt, die nun mit dem Hongkong vor einem Jahr oder auch nur einem halben Jahr nicht mehr viel gemeinsam hat. Der Versuch einer Übersicht:
Headlines allein diese Woche, ein Auszug (via Hong Kong Free Press): Der Abgeordnete Cheng Chung-tai verliert seinen Sitz, nachdem er beim Patriotismus-Test durchfällt; Organisator*innen der jährlichen Tiananmen-Wache beschuldigt, Agent*innen für ausländische Kräfte zu sein; neues Zensur Gesetz erlaubt Hongkonger Regierung rückwirkend Filme zu verbieten.
Civil Human Rights Front (CHRF) aufgelöst. Die Organisation hatte 2019 (und davor) eine Reihe der größten friedlichen Proteste der Demokratiebewegung angemeldet und organisiert, seit dem Sicherheitsgesetz allerdings keine mehr. Figo Chan, Lokalpolitiker und Organisator der Gruppe, wurde für eine der Demonstrationen die CHRF 2019 organisiert hatte im Mai zu 18 Monaten Haft verurteilt. Jimmy Sham, Lokalpolitiker, LGBTQ*-Aktivist und ehemaliger Organisator von CHRF, wurde im Februar festgenommen und wegen „Subversionv nach dem Sicherheitsgesetz angeklagt. Als Risiko für die nationale Sicherheit kann er nicht auf Kaution raus, sondern muss bis zur Verhandlung im Gefängnis bleiben. Bei Verurteilung droht eine lebenslange Haftstrafe. Als Grund für die Auflösung zitiert CHRF „politischen Druck.“
Lehrer*innengewerkschaft aufgelöst: Diesen Monat wurde auf den Druck von mehreren chinesischen Zeitungen Hongkongs größte Lehrer*innengewerkschaft PTU aufgelöst. Diese hatte etwa 95.000 Mitglieder, wurde noch 1973 in der britischen Kolonialzeit gegründet und war zwar pro-demokratisch, galt unter jüngeren Aktivist*innen aber als sehr moderat bis konservativ. Die Gewerkschaft bot ihren tausenden Mitgliedern auch viele Vorteile wie Supermärkte mit Sonderpreisen, professionelle Beratung und medizinische Versorgung, die jetzt auch alle verschwinden werden. HKFP bietet einen Überblick über die Gewerkschaft und ihre Geschichte.
Musiker angeklagt: Anthony Wong wurde wegen Vorwurf der Korruption festgenommen. Grund für den Vorwurf war, dass Wong 2018 (also vor Beginn der Proteste 2019) bei einer Wahlkampfveranstaltung des Politikers Au Nok-hin gespielt hatte. Grundlage für die Anklage war die Hongkonger Wahlverordnung, drei Tage nach der Festnahme wurde die Anklage aber direkt wieder fallen gelassen. Der Politiker Au leistet gerade eine zehnmonatige Gefängnisstrafe wegen Teilnahme an einer illegalen Versammlung ab. Gegen ihn (und 46 andere Politiker*innen) läuft außerdem ein Verfahren unter dem Sicherheitsgesetz für die Teilnahme an den pro-demokratischen Vorwahlen im Sommer 2020.
Buhen bei der Nationalhymne ist nun auch Grund für Festnahmen – so geschehen nach der Medaillenzeremonie bei den Olympischen Spielen (s. unten), die hunderte Hongkonger*innen in Einkaufszentren verfolgten. Der Festgenommene hatte gebuht, als die chinesische Hymne gespielt wurde, die offiziell auch die Hymne Hongkongs ist (interessanter Kommentar dazu bei der New York Times). Grundlage für die Ermittlungen ist das kontroverse Nationalhymnengesetz.
Urteil im ersten Gerichtsverfahren basierend auf dem neuen Sicherheitsgesetz: neun Jahre Gefängnis. Der Angeklagte Tong Yin-kit war mit einem Motorrad durch mehrere Polizeikontrollen gefahren und letztlich mit Polizeikräften kollidiert. Am Motorrad hatte er eine Flagge mit dem Protestslogan „Liberate Hong Kong, Revolution of Our Times 光復香港 時代革命“ befestigt. Eine passenden Übersetzung des Slogans gibt es immer noch nicht, auch weil es keine einheitliche Interpretation gibt. Der Richter entschied, dass der Slogan Separatismus impliziert, solange manche Leute ihn entsprechend interpretieren - egal, wie Tong selber ihn versteht. StandNews hat täglich von den Verhandlungen berichtet, falls euch die Details interessieren.
Sprachtherapeut*innen angeklagt wegen „sedition“ (Aufwiegelung, Aufruhr), weil ihre Gewerkschaft drei Kinderbücher über Schafe veröffentlicht hatte, um Kindern die Demokratiebewegung zu erklären. Grundlage ist Gesetz aus der britichen Kolonialzeit, das bis zu zehn Jahre Gefängnis für Aufwiegelung vorsieht.
Die Wahlrechts„reform“ aus Peking im Mai hat auch die wenige vorhandene demokratische Repräsentation in Hongkong noch einmal deutlich eingeschränkt: Das Hongkonger Parlament, das in den letzten Monate die gesamte pro-demokratische Opposition verloren hat, wird nach den nächsten Wahlen weniger direkt gewählte Abgeordnete haben als jemals zuvor in seiner 30-jährigen Geschichte.
Schließung von Apple Daily, einer prodemokratischen Boulevardzeitung. In den letzten Monaten wurden erst systematisch der Herausgeber Jimmy Lai und hochrangige Redakteur*innen festgenommen und dann die Konten der Zeitung eingefroren. Im Juni kündigte die Zeitung ihre Schließung an.
Hongkongs quasi öffentlich-rechtlicher Rundfunk RTHK wurde über die letzten Monate nach und nach ausgehölt, unter Druck gesetzt und auf Linie gebracht. Geschaffen wurde der Sender nach Vorbild der BBC als unabhängiger, neutraler Sender gegründet und hat sich lange mit hervorragender Berichterstattung und Satire hervorgetan.
Zensur in der Kulturbranche gibt es jetzt auch in Hongkong: Unter anderem hat die Regierung angekündigt, Filme, die die nationale Sicherheit gefährden, zu verbieten. Wie genau das definiert wird, ist unklar. Deswegen wurde auch die Oscar-Zeremonie nicht übertragen, da ein Dokumentarfilm über die Proteste 2019 nominiert war. In Cannes wurde etwas überraschend ein Hongkonger Film über die Proteste gezeigt, dessen Regisseur Kiwi Chow vorher alle Rechte an dem Film abgetreten hatte, um nicht rechtlich dafür belangt zu werden. Im April hatte ich in Taipei die Gelegenheit, „Taking Back the Legislature“ von einem anonymen Dokumentarfilmkollektiv aus Hongkong zu sehen, den ich auch sehr empfehlen würde – oder man liest das Review von Brian Hioe. Auch diesen Film kann man in Hongkong nicht zeigen.
Flucht ins Exil. Schon seit Monaten fliehen reihenweise Politiker*innen und Aktivist*innen, aber auch zunehmend Journalist*innen vor dem Sicherheitsgesetz aus Hongkong ins Exil. Aber auch viele weniger bekannte Gesichter verlassen die Stadt ins selbstgewählte Exil in Taiwan, Großbritannien, den USA oder anderswo. Gerade die Flüge nach London waren in den letzten Monaten trotz der Pandemie voll, da Hongkonger*innen bis vor kurzem wegen der politischen Situation ohne Visum nach Großbritannien einreisen konnten. Nun gibt es erste Zahlen, die darauf hindeuten, wie enorm der Exodus ist: Seit Anfang des Jahres hat die Stadt 1,2% ihrer Bevölkerung verloren. Darunter aber wohl auch jeweils etwa 6,5% aller Krankenpfleger*innen, Ärzt*innen und Lehrer*innen – eine belastbare Quelle für diese Zahlen habe ich leider nicht.
Olympische Spiele. Der Fechter Cheung Ka-long hat dieses Jahr für Hongkong im Fechten die erste Goldmedaille bei den Spielen seit 25 Jahren gewonnen! Der Sieg hat für viel Aufregung gesorgt und war auch gerade für junge, pro-demokratische Hongkonger*innen eine Möglichkeit, ihre Hongkonger Identität auf politisch unproblematische Weise zu feiern (aka ohne festgenommen zu werden). Für Freude hat auch die hongkong-irische Schwimmerin Siobhan Haughey gesorgt, die zwei Silbermedaillen holte und mehrere asiatische Rekorde aufstellte.
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Erste Coronawelle. Nach mehr als einem Jahr relativer Sicherheit ging Mitte Mai in Taiwan die erste richtige Coronawelle los – erst mit etwas mehr als zehn Fällen, dann plötzlich mehr als 200 am 15. Mai. Anfangs war der Verdacht, dass der Grund die verkürzte Quarantäne für Pilot*innen und Airlinecrews in einem Hotel war, aber genetische Analysen haben ergeben, dass dem wohl nicht so war. Damit ist weiterhin unklar, wie der Ausbruch zustande kam. Nach einem ersten Moment der Panik gab es einen Lockdown light, ähnlich wie in Deutschland im März 2020, an den sich besonders am Anfang viele Menschen sehr strikt gehalten haben. Einen richtig harten Lockdown gab es nie und auch die meisten Büros blieben offen, aber mittlerweile scheint die Situation weitgehend unter Kontrolle zu sein: Diese Woche sind die Fallzahlen meist einstellig und ein Großteil der neuen Fälle ist meist schon in Quarantäne, weil sie Kontakt mit einem anderen Fall gehabt hatten. Vor ein paar Wochen wurde die Alarmstufe offiziell von Stufe 3 auf 2 runtergesetzt, es gibt immer noch eine Maskenpflicht überall außerhalb der eigenen vier Wände, aber die Innengastronomie und diverse Sportangebote haben wieder geöffnet. Hoffen wir, dass es so bleibt.
Impfkampagne. Vor dem Ausbruch hatte Taiwan nur ein paar Dosen AstraZeneca über Covax und eigene Einkäufe erhalten – für eine Bevölkerung von über 20 Millionen. Nicht zuletzt dank des schlechten Rufes von AstraZeneca war die Impfbereitschaft lange eher bescheiden, doch als der Ausbruch losging, wollten sich plötzlich alle impfen lassen, sodass mittlerweile mehr als 41% der Bevölkerung ihre erste Impfdosis erhalten haben, doch vollgeimpft sind weniger als 4%. Dass Taiwan überhaupt genug Dosen für diese Impfungen hatte, ist vor allem Spenden aus dem Ausland zu verdanken, z.B. den USA und Japan (s. Grafik), da die Lieferung der meisten vorbestellten Dosen weiterhin aussteht. Zusätzlich kämpft Taiwan allerdings auch mit vielen Falschinformationen, die weiterhin zur Impfskepsis beitragen. Im Juli wurde mit Medigen auch der erste taiwanesische Impfstoff zugelassen.
Reformbedarf bei der Ehe für alle. Mitte August durfte das erste taiwanesisch-macanesische queere Paar in Taiwan heiraten – das Recht hatten sie sich vor Gericht hart erkämpft. Die taiwanesische Regierung hat zwar die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert, nachdem das höchste Gericht sie 2017 dazu angewiesen hatte, doch eine*n ausländische*n Partner*in dürfen queere Taiwanes*innen nur heiraten, wenn deren Heimatland die gleichgeschlechtliche Ehe ebenfalls anerkennt. Leider gilt das Gerichtsurteil nur für das Paar, das diese Woche geheiratet hat, aber Aktivist*innen fordern schon seit längerem eine Reform des Gesetzes.
Olympische Spiele. In Tokio hat das taiwanesische Team, das wie jedes Mal als Chinese Taipei antreten musste, alle eigenen Rekorde gebrochen und mehr Medaillen geholt als jemals zuvor. „Chinese Taipei“ ist ein politischer Kompromiss aus den 80er Jahren, als die damalige Regierung noch die chinesische Identität Taiwans betonen wollte. Obwohl die taiwanesische Identität mittlerweile deutlich stärker ist, haben Wähler*innen erst 2018 in einem Referendum dagegen gestimmt, den Namen des olympischen Teams zu „Taiwan“ zu ändern.
Und zum Abschluss etwas Schönes: Ein GIF von Yang Yung-wei 楊勇緯, einem indigenen Judoka aus Taiwan, der Taiwans erste Medaille bei den Olympischen Spielen in Tokio gewonnen hat.
Danke!
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